„Der erste Schritt ist der schwerste"
Teilnehmerinnen des Projekts „Take off!“ über ihren Weg ins Berufsleben
Reportage
Ausgabe 1/24
Drei unterschiedliche Frauen, ein gemeinsamer Weg. Mariia Ivashyna, Kira Demchenko und Liudmyla Khaitova sind vor zwei Jahren aus der Ukraine nach Deutschland gekommen und haben sich im Projekt „Take off! Mein Weg ins Berufsleben“ kennengelernt. Das Projekt bietet zugewanderten Frauen Unterstützung auf dem Weg in einen passenden Beruf. Alle drei haben mittlerweile Arbeit oder ein Praktikum beim schwedischen Möbelhaus Ikea in Düsseldorf gefunden. Ob Einstieg oder Wunschjob, einig sind sich alle: Erfahrungen sammeln ist das Wichtigste.
„Viele Frauen haben Angst und denken, es wäre unmöglich, von vorn zu beginnen. Aber es geht, man muss irgendwo anfangen. Der erste Schritt ist der schwerste“, sagt Kira Demchenko. Bei diesem schweren ersten Schritt steht „Take off!“ den Frauen zur Seite. Auf die Frage, wie wichtig das für sie war, brechen im Raum Begeisterung und Dankbarkeit aus. Unendlich wichtig, betonen sie und strahlen Sozialpädagogin Irina Hoffmann an. Jeden Schritt hat sie begleitet, auf Wunsch sogar bis ins Vorstellungsgespräch.
Es geht um Empowerment
„Take off!“ richtet sich an Frauen ab 16 Jahren mit jüngerer Migrationsgeschichte oder Fluchterfahrung. Die Mitarbeiterinnen des AWO Berufsbildungszentrums helfen beim Ankommen, vermitteln die nötigen Kompetenzen, stellen Kontakte zu Unternehmen her und unterstützen bei der Bewerbung. „Es geht dabei ganz viel um Empowerment“, sagt Projektassistentin Jülide König. „Die Frauen ankommen lassen, sie stärken und auf dem ganzen Weg begleiten, Verständnis zeigen für das, was sie durchmachen.“
Wie hart es für sie am Anfang war, erzählt Liudmyla Khaitova, die gemeinsam mit ihrer Tochter nach Deutschland gekommen ist. „Ich konnte kein Deutsch und kannte niemanden. Das war sehr schwer. Aber heute geht es mir besser. Aus meinem Praktikum bei Ikea wird jetzt ein Minijob. Das erlaubt es mir, nebenher meinen Sprachkurs weiterzumachen und an den Gruppenangeboten teilzunehmen“, sagt sie. Die 48-Jährige hat in ihrer Heimat als Verkäuferin gearbeitet und bei Ikea gleich die passende Arbeit gefunden.
„Arbeit zu finden ist für die Frauen ein wichtiger Schritt“, betont Projektleiterin Henrike Mönnich-Romund. „Es gibt ihnen Sicherheit, die Gewissheit, etwas zu schaffen, Anerkennung und ein Stück Heimatgefühl. Und das kann auch dabei helfen, etwas besser fertig zu werden mit dem Erlebten. Ein großer Teil der Frauen kommt aus Kriegsgebieten“, erklärt sie.
Beraten, bilden, stärken, vernetzen
Rund 90 Frauen aus der ganzen Welt erhalten derzeit im Berufsbildungszentrum über „Take off!“ Beratung, Bewerbungstraining, berufsbezogenen Deutschunterricht, Kurse zu digitalen Kompetenzen, zum Thema Gesundheit oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie können so oft und so lange kommen, wie sie es brauchen, manche zweimal im Monat, andere mehrmals die Woche. In Workshops können sie neue Fähigkeiten entdecken, sich im Kulturtreff miteinander austauschen. Für letzteren wird derzeit noch eine ehrenamtliche Kraft gesucht, die die wöchentlichen Treffen begleitet. „Viele Frauen haben sehr viel durchgemacht und Redebedarf. In der Gruppe soll es einen informellen Rahmen zum Sprechen und Vernetzen geben. Auch das ist Empowerment“, sagt Henrike Mönnich-Romund.
Hemmschwellen abbauen
Das Projekt möchte zum einen geringqualifizierte Frauen unterstützen und dabei helfen, die deutsche (Arbeits-) Kultur kennenzulernen. Wichtig sei aber auch, Hemmschwellen abzubauen, wenn sie unter Umständen mit einer geringer qualifizierten Arbeit einsteigen als im Herkunftsland. „Es kommen auch viele Frauen zu uns, die hochqualifiziert sind, deren Arbeit hier aber anders strukturiert ist oder deren Abschluss nicht anerkannt ist. Oft fehlen Sprachkenntnisse“, erklärt Henrike Mönnich-Romund. „Das ist dann schmerzhaft für sie. Neben dem Vermitteln von Kompetenzen müssen wir das auffangen und mit viel Empathie verdeutlichen, dass es ein wichtiger Schritt sein kann“, sagt sie. Mariia Ivashyna hat nach ihrem Praktikum bei Ikea eine Stelle im Lager bekommen. In der Ukraine war die 32-Jährige Logistikerin und zuerst enttäuscht. „Aber dann habe ich verstanden, dass das eine tolle Möglichkeit für mich ist, Erfahrungen zu sammeln, meine Karriere weiterzuentwickeln, die Sprache besser zu lernen und zu zeigen, wie professionell und engagiert ich bin. Das ist ein guter Anfang.“
Ja sagen zu neuen Möglichkeiten
Die AWO-Mitarbeiterinnen suchen gezielt nach Berufen, die an die bisherigen Erfahrungen anknüpfen. Daher sei eine gute Vernetzung mit Unternehmen, die offen für das Projekt sind, zentral. „Es geht nicht um den nächstbesten Job, sondern um langfristige Perspektiven“, sagt Jülide König.
Für Kira Demchenko, die in der Ukraine als Arbeitsvermittlerin gearbeitet hat, war das Praktikum eine stärkende Erfahrung. „Um hier mit Kunden zu arbeiten, musste mein Deutsch noch besser werden. Ich war erst im Verkauf und dann im Kundenservice. Das hat mich gestärkt und mir die Angst genommen, einfach zu sprechen.“ Mariia Ivashyna vertraut uns am Ende des Gesprächs an, dass sie am ersten Tag ihres Praktikums geweint habe, weil sie nicht glücklich war. Und am letzten Tag habe sie auch wieder geweint, diesmal aber weil es ihr so gut gefallen habe und ihre Kolleg*innen und Vorgesetzen so nett und unterstützend waren. Sie sagt: „Es ist ein langer und schwieriger Weg. Wichtig ist, jeden Tag Ja zu sagen zu den neuen Möglichkeiten.“
Text: Irit Bahle, Fotos Eugen Shkolnikov
Info: "Take off!" richtet sich an Frauen mit jüngerer Migrationsgeschichte oder Fluchterfahrung, die sich beruflich entfalten wollen, die Familie haben und einem Beruf nachgehen möchten und die mindestens 16 Jahre alt sind. Das Angebot ist kostenlos und freiwillig.
Das Projekt „Take off! Mein Weg ins Berufsleben“ wird im Rahmen des Programms „MY TURNFrauen mit Migrationserfahrung starten durch“ gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) unterstützt.