Schlafplatz und Hilfe für junge Obdachlose
Das „SleepIn“ in Flingern bietet Notunterkunft und praktische Unterstützung
Reportage
Ausgabe 1/24
Ein frisch bezogenes Bett, daneben Nachttisch und Sessel, darüber ein Dachfenster mit Blick in den Düsseldorfer Himmel: Etwaige Vorurteile gegenüber einer Notschlafstelle verschwinden spätestens beim Betreten des „SleepIn“. Seit November 2023 gibt es die Einrichtung an der Flurstraße in Flingern, und seitdem wird sie regelrecht überrannt. Allein in den ersten sechs Wochen betreute das Team um Sozialpädagoge Kevin Fladung rund 30 Jugendliche und junge Erwachsene mit 231 Übernachtungen, im Januar 2024 waren es bereits 277 Übernachtungen und im Februar 261. „Man sieht einfach, dass es ein notwendiges Projekt ist“, sagt Fladung vom SKFM Düsseldorf. „Wir haben sehr viele männliche, minderjährige Besucher hier, für die es bisher in Düsseldorf überhaupt kein freiwilliges Übernachtungsangebot gab.“
Bei diesem Projekt gehe es darum, Grundbedürfnisse abzudecken wie kostenloses Essen, Trinken oder Duschen, Wäsche waschen und Übernachten – das „SleepIn“ als Schutzraum. Angelika Lenschen ist bei der AWO für das Übernachtungsprojekt zuständig. „Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht, sieht man den Bedarf“, sagt die Abteilungsleiterin des Berufsbildungszentrums. „Es gibt viele Jugendliche, die aus dem Hilfesystem herausfallen.“
Abendliche Aufnahmegespräche
Das „SleepIn“ wird von der AWO Berufsbildungszentrum gGmbH (BBZ) und dem Sozialdienst katholischer Frauen und Männer Düsseldorf e. V. (SKFM) gemeinsam betrieben und befindet sich in den Räumlichkeiten des SKFM. Mittelpunkt der Einrichtung ist das geräumige Wohnzimmer. An dem großen, blanken Holztisch wird gegessen, gespielt und vor allem geredet. „In der Regel kommen täglich neun Jugendliche“, sagt Fladung. Jeden Abend muss die Fachkraft die Besuchenden neu einschätzen – auch die, die sie schon kennt.
Zentrale Frage: Wie ist die psychische und physische Verfassung? „Das ist auch der schwierigste Teil der Arbeit, das jeden Tag zu überprüfen“, erklärt der Sozialpädagoge. „Wenn man es bis hierher schafft, ist das schon ein gutes Zeichen. Anschließend führen wir Aufnahmegespräche. Das sind die ersten zwei Stunden hier, danach sitzen wir gemütlich zusammen und unterhalten uns“, sagt Fladung. „Und bis auf die Krisen, die hier auch mal vorkommen, ist es eine schöne Atmosphäre.“
Die Jugendlichen können Gegenstände, die sie für das Leben auf der Straße brauchen – dazu gehören auch Mittel zur Selbstverteidigung – sowie ihre Konsumutensilien mitbringen und anonym einschließen. „Damit bauen wir die Schwelle ab, so dass die Besucher*innen nicht alles vorher wegkonsumieren müssen“, sagt Fladung. Klar ist aber auch: „Hier in der Einrichtung darf nicht konsumiert oder gehandelt werden.“
Re-Integration in die Jugendhilfe
Ziel des „SleepIn“ ist die Re-Integration in die Jugendhilfe – wenn die Menschen das wollen. Das erfordert viel Zeit und Beziehungsarbeit. „Es geht auch darum, die Menschen zu befähigen, sich wieder auf eine Bindung einzulassen, damit sie eine Perspektive entwickeln können“, ergänzt Angelika Lenschen.
Es gibt viele Jugendliche, die regelmäßig in die Flurstraße kommen. Es habe absoluten Vorrang, die jungen Menschen ernst zu nehmen und nach ihren Vorstellungen und Wünschen zu handeln. Fladung: „Wir haben gerade zwei Besucher, die eine passende Wohngruppe suchen, und das ist ein Thema, das wir gut bearbeiten können. Wir haben noch eine halbe Stelle außerhalb unserer Öffnungszeiten, mit der wir Begleitung anbieten, also Jugendliche zu Terminen begleiten usw.“
Leben auf der Straße
Die Einrichtung wurde vom Jugendamt und dem Jugendhilfeausschuss vor mehreren Jahren initiiert und richtet sich an Düsseldorfer Jugendliche. Diese kommen aus unterschiedlichen Gründen ins „SleepIn“. Manchmal haben die Jugendlichen offiziell einen Wohngruppenplatz oder ein Zimmer bei den Eltern, halten es dort aber nicht mehr aus. Dann leben sie faktisch auf der Straße. Dann gibt es diejenigen, die ein- oder zweimal in der Woche in der Flurstraße auftauchen und ansonsten bei Freunden übernachten. Kevin Fladung: „Es gehört viel Mut dazu, einen vermeintlich sicheren Ort wie eine Wohngruppe oder das Elternhaus zu verlassen, weil es einfach nicht passt. Man muss sich überwinden zu sagen, ich gehe auf die Straße oder ich gehe ins SleepIn“.
Text: Wolfram Lotze, Fotos: Eugen Shkolinkov
Daten und Fakten zum Projekt "SleepIn"
Das „SleepIn“ ist ein Ort, an dem Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 21 Jahren übernachten können, wenn sie keinen anderen Schutzraum haben. Ziel ist es, diesen Menschen eine sichere Unterkunft zu bieten und ihnen bei ihren persönlichen Problemen zu helfen.
Das „SleepIn“ wird von der AWO Berufsbildungszentrum gGmbH (BBZ) und dem Sozialdienst katholischer Frauen und Männer Düsseldorf e. V. (SKFM) gemeinsam betrieben. Das Gebäude befindet sich im Besitz des SKFM. Das Team besteht aus Fachleuten beider Träger sowie Studierenden. Das „SleepIn“ ist täglich von 20 bis 9.30 Uhr geöffnet. In Notfällen sind Aufnahmen bis 1 Uhr möglich. Das „SleepIn“ liegt an der Flurstraße 47 in 40235 Düsseldorf.
Alex (20), Besucher des "SleepIn":
„Hier in Düsseldorf gibt es wenig Notschlafstellen, die speziell für Jugendliche konzipiert sind und ich bin echt froh und dankbar, dass es – genau dann, als es mich getroffen hat – das ‘SleepIn‘ gegeben hat und ich mich dort aufhalten konnte. Durch das SleepIn haben außenstehende Personen mir gar nicht angesehen, dass ich wohnungslos war, was ich sehr gut fand! Würde es das ‘SleepIn‘ nicht geben, wüsste ich nicht, wie meine momentane Situation wäre. Das Besondere beim ‘SleepIn‘ ist, dass die Mitarbeiter immer auf einen zugehen und entsprechende Unterstützung anbieten. Die Menschen dort arbeiten alle mit viel Liebe und Herz und das merkt man.“
Marion Warden, Kreisgeschäftsführerin der AWO Düsseldorf:
Chance auf ein sicheres Zuhause geben
Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sind nicht nur Worte, sondern unsere gelebten Grundwerte. Wir setzen sie aktiv um, indem wir Menschen dabei unterstützen, ihr Leben selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten. Dazu gehören auch die Menschen, die in Düsseldorf auf der Straße leben, vor allem Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren.
Gerade für junge Männer gibt es keine sicheren Übernachtungsmöglichkeiten. Die vorhandenen Schlafplätze sind meist auf Erwachsene ausgerichtet, was für diese Altersgruppe oft nicht geeignet ist. Doch nun gibt es Hoffnung. Ein lang geplantes Projekt, vor über 20 Jahren von der AWO Düsseldorf initiiert und fast von Anfang an vom SKFM unterstützt, trägt endlich Früchte.
Trotz Herausforderungen wie der Flüchtlingswelle und knapper Ressourcen ist es gelungen, eine Notschlafstelle speziell für junge Menschen einzurichten. Das gemeinsame Konzept von AWO und SKFM hat sich innerhalb kürzester Zeit bewährt. Allein in den drei Monaten seit der Eröffnung am 16.11.2023 verzeichnete das „SleepIn“ in der Flurstraße bereits 800 Übernachtungen – ein Zeichen für den dringenden Bedarf einer solchen Einrichtung.
Dieser Erfolg zeigt, dass unsere Gesellschaft in der Lage ist, solidarisch und gerecht zu handeln, wenn es darauf ankommt.
Das „SleepIn“ kann aber nur ein erster Schritt sein. Es bleibt unsere Aufgabe als Gesellschaft und als Sozialverbände, gemeinsam Lösungen zu finden, damit kein Jugendlicher mehr auf der Straße schlafen muss. Denn wahre Solidarität bedeutet, niemanden zurückzulassen und jedem die Chance auf ein sicheres Zuhause zu geben.
Elmar Borgmann, Vorstandsvorsitzender des SKFM Düsseldorf e.V.:
Besondere Verpflichtung für junge Menschen
Unser Projekt „SleepIn“ in der Flurstraße 47 in Düsseldorf-Flingern hat eine lange Vorgeschichte. Bereits 2014 wurde von Politik und Verwaltung in der Landeshauptstadt Düsseldorf das Ziel formuliert, eine Einrichtung insbesondere für die jungen Menschen, die auf Düsseldorfs Straßen ohne festen Wohnsitz unterwegs sind und die zwischen 14 und 18 Jahre alt sind, zu schaffen. Das Projekt „SleepIn“ hat für den SKFM Düsseldorf e.V. einen besonderen Wert, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir seit fast 30 Jahren bereits eine Einrichtung für drogenkranke junge Frauen im Bahnhofsviertel der Landeshauptstadt Düsseldorf unterhalten und daher einen besonderen Bedarf für die Zielgruppe der 14 bis 18-jährigen jungen Menschen beiderlei Geschlechts sehen.
Jede große Stadt in der Bundesrepublik verliert über die Straße junge Menschen in die dauerhafte Wohnungs- und Obdachlosigkeit, die sie eigentlich nicht zu verlieren braucht. Oft fehlt nur die Chance, ein Ansprechpartner, eine Bleibe oder eine mitgedachte und unterstützte Perspektive, um den Weg dieser jungen Menschen, weg von der Straße, zu verändern. An dieser Stelle ist ein katholischer Fachverband mit dem Auftrag der Nächstenliebe und der besonderen Verpflichtung für junge Menschen besonders gefragt. Wir sind sehr froh, dass wir gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und mit besonderer Unterstützung aus Politik und Verwaltung diese Maßnahme für Düsseldorf umsetzen konnten. Bereits nach drei Monaten ist deutlich zu erkennen, dass wir mit unserem gemeinsamen Angebot richtig liegen.