Shannons Weg: Zwei Ausbildungen, ein Meister und ein Fachabitur
Erfolgsgeschichte der Berufsorientierung
Reportage
Ausgabe 3/24
Seit 25 Jahren fördert das Projekt „Step by Step“ des AWO Berufsbildungszentrums in Kooperation mit Förder- und Hauptschulen eine frühzeitige berufliche Orientierung von Schüler*innen mit Förderbedarf. Vor zwölf Jahren startete der Düsseldorfer Shannon Jatzke in dem Projekt seine Berufslaufbahn und ist heute Meister in Maschinentechnik mit Fachabitur.
Für Shannon Jatzke stand fest, dass er eine landwirtschaftliche Ausbildung machen möchte, seit er als Kind bei einem Spaziergang über die Felder in Hubbelrath und Ratingen auf der Sämaschine von Landwirt Christian Benninghoven fahren durfte. Damals wusste er noch nicht, welche große Rolle die Familie Benninghoven und das Gut Diepensiepen in seinem Leben noch spielen würden. Ganz grob skizziert verlief das bisher so: Shannon Jatzke ging auf eine Förderschule. In der zehnten Klasse kam er in das Projekt „Step by Step“ des AWO Berufsbildungszentrums und darüber in ein Langzeitpraktikum auf dem Gut Diepensiepen. Dort absolvierte er im Anschluss eine Ausbildung und hat mittlerweile eine zweite Ausbildung abgeschlossen, sein Fachabitur gemacht und einen Meister in Maschinentechnik erworben.
Früh an das Thema Beruf heranführen
„Über Step by Step habe ich Vieles gelernt, was man in der Schule nicht vermittelt bekommt“, sagt der heute 29-Jährige. Sozialpädagogin Britta Schmitz hat vor zwölf Jahren seine damalige Schule besucht und ihn seither auf seinem Weg begleitet. „Ziel des Projekts ist es, Schüler*innen mit Förderbedarf schon während der Schulzeit an das Thema Beruf heranzuführen, beruflich zu orientieren und an Betriebe anzubinden“, erklärt Christian Klevinghaus, AWO-Projektleiter und zuständig für „Step by Step“. Eine zentrale Rolle spielt dabei das betriebliche Langzeitpraktikum, bei dem Schüler*innen neben der Schule in der Regel einen Tag in der Woche im Betrieb arbeiten. Die sozialpädagogischen Mitarbeitenden wie Britta Schmitz helfen dabei, herauszufinden, wo die Interessen und Fähigkeiten liegen. Sie akquirieren Stellen, betreuen das Praktikum, bereiten es mit den Schüler*innen vor und nach. Ergänzt wird das Praktikum durch begleitenden Unterricht. Schritt für Schritt qualifizieren die Schüler*innen sich so fachlich und erwerben zusätzliche Schlüsselqualifikationen.
Vom Probepraktikum in die Ausbildung
In welchen Bereich es gehen soll, musste Shannon Jatzke nicht erst herausfinden: „Ich sitz auf dem Trecker, seit ich elf bin. Es war klar, was ich machen will,“ sagt er. Hilfreich fand er vor allem die praktische Unterstützung, die er durch „Step by Step“ bekommen habe, zum Beispiel bei Themen wie Sozial- und Krankenversicherung. „Bei der AWO wird man auf das Leben vorbereitet“, sagt er. Das Langzeitpraktikum auf dem Gut Diepensiepen hat ihn in seiner beruflichen Orientierung und in seinem Selbstvertrauen bestärkt. „Ich fand das viel besser, als in die Schule zu gehen“, erinnert er sich und erklärt, wie sich Schulstoff manchmal erst bei der praktischen Arbeit als interessant erweist, in seinem Fall zum Beispiel beim Berechnen von Düngemengen. Neben seiner Lehrerin, die den Kontakt zur AWO herstellte, und Step-by-Step-Betreuerin Britta Schmitz spielte auch sein damaliger Chef, Christian Benninghoven, eine wichtige Rolle bei seinem Werdegang. Dieser hat schon während des Praktikums Shannons Fähigkeiten erkannt und ihm schließlich die Ausbildung zur Fachkraft als Agrarservicedienstleister für Landwirte angeboten. „Durch das Probepraktikum wusste ich: Ich schaffe das.“
Fähigkeiten jenseits von Abschlüssen
Genauso soll es im besten Fall laufen: „Wenn wir die Schüler*innen in die Betriebe vermitteln, hoffen wir immer auch, dass Klebeeffekte entstehen. Die Betriebe lernen die Fähigkeiten der Schüler*innen kennen, auch wenn sie Lernschwierigkeiten und keinen guten Schulabschluss haben. Dafür sind sie aber vielleicht handwerklich besonders geschickt, sehr kommunikativ, geduldig oder teamfähig“, erklärt Christian Klevinghaus. Man braucht sich nicht lange mit Shannon Jatzke zu unterhalten, um sein großes Fachwissen, seine Begeisterung, Energie und Neugierde zu erleben. Es hat den Eindruck, als könne er unendlich lange über landwirtschaftliche Maschinen sprechen. Die technischen Details liegen ihm ebenso wie das Arbeiten in der Natur. Möglichkeiten, die sich ihm geboten haben, hat er ergriffen. Auch als nach einigen Berufsjahren in der Landwirtschaft durch Zufall das Angebot kam, eine Ausbildung zum Industriemechaniker zu absolvieren. Die hat er kurzerhand gemacht, mit einer Abschlussarbeit über Turbogetriebe den Meister hinterher. Zusätzlich hat er Mechatronik und fachbezogenes Englisch an der Abendschule belegt und mit Abschluss der Ausbildung auch noch das Fachabitur mitgenommen.
Jugendhilfe, Schulen und Berufsberatung arbeiten Hand in Hand
Der direkte Weg in die Ausbildung sei nicht das Ziel der Maßnahme, sagt Christian Klevinghaus. Als es vor 25 Jahren startete, ging es vor allem darum, mit den Schüler* innen auf anschließende berufsvorbereitende Maßnahmen hinzuarbeiten. Initiiert wurde „Step by Step“ gemeinsam mit dem Jugendamt der Stadt Düsseldorf, das auch heute noch Hauptförderer des Projekts ist. Los ging es mit zwei Schulen und 20 Schüler*innen und lief dann so gut, dass es erweitert wurde. Das Team ist stolz darauf, dass seit 2010 über 700 Schüler*innen teilgenommen haben, von denen es über 100 direkt in eine Ausbildung schafften. Die Agentur für Arbeit stieg später mit ein und das Projekt wurde ausgeweitet auf Schüler*innen mit Förderbedarf an Hauptschulen. „Jugendhilfe, Schulen und Berufsberatung arbeiten hier Hand in Hand“, so Klevinghaus. Und natürlich mit den Betrieben, die für die jungen Menschen des Berufsbildungszentrums offen sind. „Wir haben hier oft sehr engagierte, motivierte und zuverlässige junge Menschen. Es gibt zum Glück Betriebe, denen das wichtiger ist als gute Zeugnisse.“
Sein großes Detailwissen und seine Begeisterung gibt Shannon Jatzke mittlerweile weiter an Praktikant*innen und Auszubildende an seinem neuen Arbeitsplatz. Seit kurzem ist er Betriebsleiter für Landwirtschaft auf einem Gestüt. Mit neuen Aufgaben und Herausforderungen, in die er sich genauso akribisch und leidenschaftlich einarbeitet, wie in alles, was er bisher gemacht hat.
Text: Irit Bahle, Fotos: Eugen Shkolnikov
25 Jahre “Step by Step”
1999 führte das AWO Berufsbildungszentrum „Step by Step“ zum ersten Mal im Auftrag des Jugendamtes mit 20 Schüler*innen an zwei Förderschulen durch. Vier Jahre später wurde das Projekt im Rahmen des BQF-Programms des Bundes (Kompetenzen fördern - Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf) ausgeweitet. Nach dem Ende dieser Förderung stieg 2006 das Jugendamt ein und übernahm die zusätzlichen Kosten. Seit 2008 ist auch die Agentur für Arbeit Teil von „Step by Step“, das fortlaufend erweitert werden konnte, sodass es heute 85 Plätze an zehn Schulstandorten umfasst.
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